Ein Hoch auf das Hobby

10. August 2022

Kaum eine Hobbynäherin ist noch ohne Instagram-Account und wo früher die eigenen Kinder, Nichten, Neffen, zur Not auch die Nachbarskinder eingenäht wurden, ist heute ein Kleingewerbe am Start. Gesellschaftlich sind wir so stark auf Produktivität geeicht, dass wir kaum noch etwas „einfach so“ machen. Der Urlaub wird zur Bildungsreise, die Lust am Zeichnen und Gestalten muss ein Bulletjournal hervorbringen, womit im Anschluss noch das klitzekleinste Fitzelchen Freizeit straff durchorganisiert wird. Wo ist da eigentlich der Spaß geblieben? Etwas zu tun ohne einen Zweck zu verfolgen, einfach weil es Freude macht und nur um seiner selbst Willen scheint fast schon unartig.

Doch genau das ist ein Hobby: Per Definition ist es eine Freizeitbeschäftigung, die kein Einkommen erwirtschaftet und als Ausgleich zu täglichen Arbeit dient. Das Hobby muss also nicht produktiv sein und genau das macht seinen Reiz aus. In deinem Hobby kannst du dich ganz deinen eigenen Vorlieben hingeben, entspannen, herumtrödeln und dich von der Betriebsamkeit deines Alltags erholen. Deshalb haben viele Menschen auch Hobbys, die so gar nichts mit ihrem Arbeitsalltag gemeinsam haben. Der Banker backt Brot, die Erzieherin baut Möbel, die Buchhalterin näht. Die perfekte Auszeit.


Heiter scheitern

Mehr noch: Weil dein Hobby sich außerhalb jeder ökonomischen Verwertbarkeit befindet, hast du eine besondere Freiheit, die du sonst nirgendwo hast: Du kannst es schlecht machen. Du kannst krumme Nähte nähen, schief singen, krumpelige Pullover stricken und ausgebeulte Vasen töpfern. Wen juckt’s? Wenn es dir Spaß macht und dich entspannt hat es seinen Zweck schon erfüllt. Das gibt dir die Freiheit, ganz ohne Erwartungsdruck an eine Sache heranzugehen und dich einfach treiben zu lassen. Entspannung pur.

Hobbys haben sogar wichtige therapeutische Effekte. Das Stricken ist in diesem Punkt sehr gut erforscht. Es hat dieselben Effekte auf das Gehirn und die Psyche wie Meditation. Es fördert die Resilienz, senkt den Blutdruck und hilft sogar Schlaganfallpatient*innen beim Wiedererlernen von Motorik und Sprechen. Schwer vorstellbar, dass diese Effekte noch erhalten bleiben, wenn das Stricken zum Nebenberuf wird.


Das Hobby zu Geld machen?

Ich hab genug. Fast alle Menschen, die handarbeiten – sei es nähen, stricken, häkeln –, haben diesen Satz schon einmal gesagt. Ich habe genug gestrickte Socken, genähte Beanie-Mützen, Hosen, Kissenbezüge. Ich nähe fast gar nicht mehr, weil ich nicht mehr weiß, wohin mit dem Zeug. Aus dieser Produktivität entsteht dann manchmal die Idee für das Kleingewerbe. Das scheint eine Win-win-Situation zu sein: Die genähten Täschchen, Schlafmasken und Kissenbezüge finden dankbare Abnehmer*innen und du refinanzierst dir dein Hobby. Doch viele stellen fest, dass die Begeisterung für’s Nähen rapide abnimmt, wenn plötzlich Auftragsarbeiten, mäkelige Kundschaft, Buchhaltung und Steuern Teil des geliebten Hobbys sind. Eine Alternative könnte es sein, die fertig genähten Sachen zu spenden oder nur ein oder zwei mal im Jahr das zu verkaufen, was wirklich fertig ist.

Außerdem: Aber hast du schon mal eine*n Hobbymaler*in diesen Satz sagen hören? Ich hab genug Bilder, ich weiß gar nicht mehr, wo ich die aufhängen soll. Oder eine*n Poet*in? Ich hab genug Gedichte, es reicht. Hobbys – vor allem kreative Hobbys – üben wir um ihrer selbst Willen aus, nicht für das fertige Produkt. Das heißt nicht, dass wir nicht auch nach Bedarf unserem Hobby nachgehen können. Die beste Freundin wünscht sich ein Aquarell über ihrem Sofa, für die Ruhestandsfeier des Kollegen sollen wir ein Gedicht schreiben und das Kind (oder du selbst) braucht eine neue Hose. Natürlich ist es erlaubt, auch zielgerichtet zu nähen. Aber in erster Linie ist ein Hobby doch Selbstzweck. Wir nähen, weil wir es gerne tun. Keine weitere Erklärung nötig. Es entspannt uns, wir haben Freude am Umgang mit den schönen Stoffen, die unmittelbare Arbeit mit unseren Händen gibt uns ein Gefühl tiefer Zufriedenheit. Verkaufszahlen und Gewinnmargen sollten da wirklich frühestens an zweiter Stelle kommen.


Alles so schön bunt hier

Zeigst du deine selbstgenähten Sachen auch bei Instagram, Pinterest, Facebook, TikTok? Dann bist du schon mittendrin in der Ökonomisierung deines Hobbys. In den letzten Jahren sind durch die sozialen Medien und das ständige Vor-Augen-Haben von perfekt abgelichteten Menschen und Dingen Bedarfe nach Professionalisierung entstanden, die vorher nicht existierten. Viel mehr Menschen als jemals zuvor haben Tausende Euro teure Foto- und Videoausstattung zu Hause – ohne die eigentliche Foto- oder Videografie als Hobby zu haben. Das Equipment ist allein für die perfekte Hochglanz-Präsentation auf den sozialen Medien da.

Natürlich sind soziale Medien wunderbar um deine Begeisterung mit Anderen zu teilen, dich zu vernetzen und inspirieren zu lassen. Das wollen wir auch gar nicht schlecht reden. Sobald du dich aber mit Followerzahlen und Algorithmen beschäftigst, bist du Teil einer Ökonomie. Du machst dein Hobby zu Geld – wenn auch nicht für dich selbst, sondern für die Betreiber der Apps und Websites. Die ewige Jagd nach Klicks, Likes und Followern kann ganz schön viel Stress in dein geliebtes Hobby bringen – unrealistische Erwartungen und Erfolgsdruck inklusive. Die sozialen Medien sind voll von Menschen, die formulieren, wie sehr sie ihr Social Media Account unter Druck setzt. Was anfing als Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten zu auszutauschen, ist inzwischen für viele zum puren Stress geworden, der sogar psychische Erkrankungen begünstigen kann. Viele haben darüber ihre gesamte Kreativität verloren und damit auch ihr Ventil im vollgepackten Alltag.


Unser Fazit

Natürlich schmeichelt es, wenn andere Menschen deine selbstgenähten Sachen kaufen wollen und auf den sozialen Medien liken. Mit der Professionalisierung geht aber auch viel an deinem Hobby verloren, v.a. Freiheit, Spaß und Entspannung. Überlege deshalb gut, ob du dein Hobby wirklich professionalisieren willst – sei es über Verkäufe oder die Präsentation auf den sozialen Medien. Falls du dich dafür entscheidest, überlege dir schon im Vorfeld, wie du möglichst viel Schönes behalten und möglichst wenig Nerviges entstehen lassen kannst.

Welche Prozesse könntest du auslagern? Kann die Buchhaltung von einem Büroservice oder einer Steuerberaterin übernommen werden? Kannst du das Social Media Management an eine Agentur oder eine Freundin abgeben, deren Leidenschaft genau das ist?

Außerdem solltest du dir schon im Vorfeld überlegen, welches andere Hobby ab sofort die Rolle deiner Auszeit vom Alltag übernehmen soll. Denn diese brauchst du als Ausgleich und um körperlich und seelisch gesund zu bleiben.


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